Der Morgen

Um vier Uhr morgens schreiben ist mein Ideal. Den nächsten Morgen stelle ich mir als eine Etage höher vor. Als Kind habe ich an einen Fahrstuhl nach oben gedacht. Vielleicht steckt eine vertikale Paradiesidee dahinter. Jedenfalls liegt die Zukunft nicht unten. Um mein (hohes) Ideal zu erreichen, berechne ich am Vorabend acht Stunden Schlaf. Eine Party kann eine Bedrohung sein: Während ich Gespräche aushalte, höflich hinaus über die Grenze des bereits gesagten, spüre ich meine Schlafstunden schwinden und reagiere gereizt: Ich lebe nicht ohne den anderen. Aber ich verpasse auch nichts auf dieser Abendgesellschaft. Nach oben schlafen kann ich mich ohnehin nicht mehr. Am Morgen bin ich wieder unschuldig. Auch der Chor der Kritiker schläft noch. Am Rand der Träume funktioniert das schon mal: Über sich selbst hinauswachsen. Gelingt das, weiß ich es im Moment des Schreibens. Auch retrospektiv bleibt das als Glück. Und ich wundere mich. Aus einer anderen Perspektive bestätigt sich der Zweifel am Wunder: Um so größer die Enttäuschung, wenn man dem Autor begegnet, mit der Vorstellung, der Textschöpfer sei automatisch ein eloquenter Sprecher und Bescheidwisser im großen intellektuellen Stil. Das ist eine berüchtigte Falle für Schriftsteller und hat mit dem Morgen nichts mehr zu tun. Aber wie soll man das jetzt erklären?